Betreff: Re: Umfrage an alle User -
Gepostet: 26.12.2021 - 18:26 Uhr -
Moin zusammen:
Dazu dann noch ein Bericht von 1962, nachdem wir alle ein sehr schönes Weihnachtsfest auf der SS ''Passat'' verbracht hatten, wo wir als Schüler vom Priwall den letzten Monat des Lehrganges untergebracht waren. Nun als "frisch gebackener Seemann" in der großen Stadt, Hamburg.
Ich kenne heute noch das Gefühl der unendlichen Dankbarkeit, als ich meine Koje dann auf der ''Natal'' zugewiesen bekam: es war trocken und warm!!
Die Karte an die Eltern spricht nicht von den aufgeweichten Schuhen, nassen Klamotten und Nächten ohne Behausung, sowie den besuchten Suppenküchen, und dies mit 17 Jahren, zum ersten mal von zu Hause weg.
Abschlussprüfung am Priwall gut bestanden und mein erster Dampfer, die MS Natal der DOAL sollte heute in Hamburg einlaufen. Ich war schon einige Tage vorher hier, pleite und “auf der Straße“; und Hamburg war damals “unter Wasser‘‘. Eben etwas ''verrechnet''......
17.2.1962 Karte an die Eltern aus Hamburg.
Liebe Eltern und Schwester!
Zuerst zu Eurer Beruhigung – mir geht es den Umständen entsprechen gut! Seit sechs Tagen steht der Hafenteil von Hamburg, sowie sämtlichen angrenzenden Stadtteile unter Wasser, Windstärke 12 und mehr im Hafen, ganze Geschäftsviertel erlitten riesenhaften Schaden – Lager und Keller unter Wasser.
Mein Dampfer sollte am 17.um 08:00 einlaufen, und ist noch nicht da; die Reederei sowie der Schiffsmeldedienst haben keine Telefonverbindung mit MS „Natal“ . Alle hoffen natürlich sehr dass sie heute noch einlaufen kann. Gestern lag sie noch in Bremen; um 10:00 hatten die Stauerleute noch nicht mal mit dem Löschen begonnen. Da heute herrliches Wetter herrscht, und die See wieder auf 1 -2 (im Hafen) zurückgegangen ist bestehen ja gewisse Aussichten - Telefonverbindungen können in ganz HH erst seit 2 Stunden wieder hergestellt werden, und dies nur von bestimmten Zellen aus, Mit einem Wort, gestern sah es wie nach einem Bombenangriff der gesamten Weltmächte auf den Hafen konzentriert, aus.
Seit einer Nacht bin ich im Seemannheim Altona, und kann dort wieder übernachten; alle anderen überfüllt. Vorher schlief ich ja unter tollsten Bedingungen – darüber kommt noch ein längerer Bericht, wenn ich an Bord bin und Zeit habe.
Ich werde nun mal wieder die Reederei anrufen, was los ist. Wisst Ihr, wenn das Schiff da ist, dann weiß ich wieder, wohin ich gehöre. Mit dem Essen bin ich jetzt immer prima zurechtgekommen – KB Schnell Restaurant, im Stehen – aber es gibt alle Speisen (ca. 50 verschiedene), laufend fertig von 50 Pfg -bis 3. DM. Mittag ‚ne Tasse Kaffee -.50 und ‚n Stück Kuchen -.30; für hiesige Verhältnisse ungeheuer billig. Sollte der Dampfer heute oder morgen noch nicht kommen, miete ich mich fest im Seemannsheim ein, das zahlt dann die Reederei. Noch hoffe ich aber immer auf ein Erscheinen dieses Schiffes.
Alles Liebe, Endrick
Humanus sum, nihil humanum a me alienum puto.
Terence